Page 37 - Bessunger Kerbeheft 2014
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Ruhe finden und innehalten
Oasen im Bessunger Forst
Im Allgemeinen sind Oasen Versorgungsstellen in der Wüste, wo man zudem noch innehält und Kraft sam- melt.
Rund um und auf der Ludwigshöhe gibt es diese Stellen auch. Nur kann man dort zwar Ruhe fin-
den, aber man ist im Gegensatz zur Oase total unterversorgt und quasi völlig hilflos. Sozusagen abgeschnitten von der quirligen Außenwelt. Man hat keinerlei Verbindung zu den uns umkreisenden Satelliten, also auch keinen Empfang zu Handy, Smartphone und sonstigem Gedöns.
Von meinem 28 Meter hohen Turm kann
ich die Menschen sehen, wie sie total ver- wirrt und hilfesuchend Meter um Meter
das Areal durchschreiten und ihr hochmo- dernes elektronisches Instrument mit ausge- strecktem Arm zur Seite oder in die Höhe strecken, um wieder am Weltgeschehen teilnehmen zu können.
Manche steigen sogar auf Baumstümpfe
oder erklettern Douglasien, junge Eichen
(die alten sind nur schwer zu umfassen)
sowie Buchen, versaubeuteln sich Hemd
und Hose – oder Rock – und ihre Gesichts-
ausdrücke zeigen die pure Verzweiflung.
Was mich indes ratlos macht, sind ihre Hand- und Finger- übungen. Diese Verzweifelten probieren nicht, mit dem Zei- gefinger auf dem mitgebrachten Gerät irgendwelche
Knöpfe zu drücken, sondern sie wischen mit dem Mittelfin- ger (der, wie ich mich erinnere, schon immer andere Funk- tionen hatte) liebevoll über die Oberfläche ihres mobilen Teufelswerks, so, als wollten sie Zecken, Schnaken oder Schmaserte vertreiben. Und nach jedem Wischen schauen
sie von Nahem oder von weiter weg (das richtet sich ver- mutlich nach dem Sehvermögen des Besitzers),
ob das Utensil irgendeine Regung zeigt. Tut es das nicht, dann schauen sie drein wie ein Trin- ker, der in seinem Keller einen leeren Bierkas-
ten vorfindet – oder wie ein Watzeviertler, der den endlos langen Kerbe-Umzug der Bessunger mit 39 Kapellen nicht begreifen kann.
Ihr Antlitz ähnelt dem eines Menschen, der einen
Blitzeinschlag überlebt hat.
Vor noch nicht allzu langer Zeit kamen die Men-
schen über Wege und Pfade zu mir auf den Bes- sunger Hausberg mit ganz anderem Ansinnen. Sie hatten Rucksäcke umgeschnallt, gefüllt mit Ess- und Trinkbarem und hatten ihre Familie dabei. Oder sie
kamen als frisch Verliebte mit einer Decke (in Bes- sungen sagt man Kolder) unter dem Arm, suchten
ein bemoostes Plätzchen und freuten sich des Lebens. Und ihre Hand- und Fingerübungen dienten nur dem Brote schmieren oder Streicheln, je nach Situa-
tion.
Und irgendwie haben mir diese entspannten Geschöpfe besser gefallen.
Wir gratulieren den Lilien zu ihrem grandiosen Erfolg!
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Der Turmgeist meldet sich
zu Wort